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DeutschlandSalem am Bodensee

Die Vermessung
des Waldes

Zwei unterschiedliche Ausgangspositionen, ein ­gemeinsames Ziel, ein Antrieb: die Forstwirtschaft auf dem Weg in die digitale Zukunft zu begleiten. Ihre Gedanken dazu teilen Michael Prinz von Baden, Repräsentant eines größeren deutschen Privat-Forst­betriebs, und Dr. Tim Gegg, Leiter des Bereichs Digi­talisierung bei STIHL, bei einem Waldspaziergang.

Als sich Michael Prinz von Baden und Dr. Tim Gegg das erste Mal begegnen, ist schnell klar: Bei den beiden stimmt die Chemie. Dabei könnten ihre Ausgangslagen unterschiedlicher nicht sein. Michael Prinz von Baden, jüngster Sohn von Max Markgraf von Baden, leitet den Familien­betrieb. Die traditionsreiche Adelsfamilie mit Sitz in Schloss Salem ist heute insbesondere in der Land- und Forstwirtschaft sowie dem Weinbau aktiv. Der markgräfliche Forstbetrieb liegt im westlichen Bodenseegebiet im Alpenvorland. Dr. Tim Gegg auf der anderen Seite ist promovierter Maschinenbauer. Er leitet den Bereich Digitalisierung bei STIHL, dem Familienunternehmen aus Waiblingen, welches mit Motorsägen und Motorgeräten weltweit erfolgreich ist. Bei einem Spaziergang durch die Wälder am Bodensee wird schnell klar, warum diese Verbindung passt. Die beiden verbindet ein Gedanke, ein Ziel: Sie wollen die Forstwirtschaft digitalisieren, wollen sie in die Zukunft führen.

AUF DEM WEG ZUR DIGITALEN FORSTWIRTSCHAFT

Der Wald ist vieles: Lebensraum für Mensch und Tier, der wohltuende Ausgleich zum oft hektischen und lauten ­Alltag und wichtiger Klimafaktor. Doch der Wald ist auch ein wichtiger Lieferant des nachwachsenden Rohstoffes Holz. Und daran hängen gleich mehrere Industriezweige. Allen voran die Forstwirtschaft. Sie befindet sich aktuell im Wandel, verabschiedet sich vom romantischen Bild des Försters, muss sich im globalen Wettbewerb und vor dem Hintergrund des Klimawandels immer stärker positionieren. Da der Produktionsprozess von der Naturverjüngung bis zur Ernte 80 bis 100 Jahre dauert, ist dies eine enorme unternehmerische Herausforderung. Bei ihr kommt es auf eine flexible Planung, prozessorientierte Organisation und neueste Technologie an.

Das Bild des Försters als ­Spaziergänger und Wald­kenner ist längst überholt, wissen ­Michael Prinz von Baden (li.) und Dr. Tim Gegg. Heute ist der Beruf eher mit dem eines Produktions­managers gleichzusetzen.
Das Bild des Försters als ­Spaziergänger und Wald­kenner ist längst überholt, wissen ­Michael Prinz von Baden (li.) und Dr. Tim Gegg. Heute ist der Beruf eher mit dem eines Produktions­managers gleichzusetzen.
Symbolbild Holz

Das hergebrachte Bild des Försters, der durch seinen Wald schlendert und sich auf die ­Erfahrungen der Vergangenheit verlässt, ist längst überholt. „Die Digitalisierung eröff­-net neue Möglichkeiten, zu erkunden, welches Wuchsmodell bei steigenden Durchschnittstemperaturen und bei Stürmen erfolgreicher ist“, erklärt ­Michael Prinz von Baden. Die daraus abgeleiteten waldbaulichen Strategien lassen sich dann systematisch planen und umsetzen. Im markgräf­lichen Forstbetrieb wird beispielsweise auf eine konsequente Auslesedurchforstung gesetzt. Die sogenannten Zukunftsbäume, kurz Z-Bäume, werden frühzeitig danach ausgewählt, welche Voraussetzungen sie unter den angenommenen Zukunfts­szenarien dafür haben, die Hiebsreife zu erreichen: „Auf diese Weise lassen sich waldbauliche und ­ökonomische Aspekte miteinander in Einklang bringen.“

Aus unternehmerischer Sicht ist der Wald eine langfristige Anlage, der Forstwirtschaftler Vermögensberater und Vermögensverwalter in einem. Um diese Aufgabe ­optimal erledigen zu können, bedarf es aus Sicht des Prinzen digitaler Lösungen. Wenn er vom digitalen Forst spricht, nennt er Skandinavien als Beispiel: „Dort ist die Wertschöpfungskette durchgängig digitalisiert, es gibt keine Brüche in den Warenströmen.“ Auch wenn die Forstwirtschaft in Mitteleuropa von ihren Voraussetzungen her nur bedingt mit der im hohen Norden vergleichbar ist, sieht der Prinz Unterschiede: „Viele Ansätze hier bei uns sind gut, aber es gibt noch sehr viele Einzellösungen. Sie beziehen sich nicht auf den Gesamt­prozess, sie führen nicht alle digitalen Fäden zusammen.“

Auf dieses Stichwort hat Dr. Tim Gegg gewartet: „Beim digitalen Forst darf nicht zu kleinteilig gedacht werden.“ STIHL ist dabei, sein Angebot neu zu definieren. Bisher stand der Name STIHL vor allem für hochwertige Motorgeräte für den Forst. Inzwischen beginnt STIHL, den Sägenführer und seine Säge auch als Nutzer und als Quelle von Daten zu betrachten. Der Bereich Digitalisierung ist bei STIHL ein noch sehr junger, aber für die Zukunft von STIHL sehr wichtiger Bereich. „Wenn wir als einer der Branchenführer einen neuen Ansatz verfolgen, ist das ein weitreichendes Signal. Wir haben mit unserem Wissen und auch unseren Produkten das Potenzial und den Marken­namen“, da ist sich Dr. Tim Gegg sicher. ­Michael Prinz von Baden sieht das ähnlich: „Der entscheidende Impuls muss aus der ­Industrie kommen. Die Forstwirtschaft selbst ist dazu zu zerklüftet und heterogen.“

Dr. Tim Gegg and Michael-Prinz von Baden
Digitalisierung kann allen ­helfen: dem Waldbesitzer, dem Forstbetrieb, dem ­Holzverwender – und natür­lich auch dem Wald selbst
Digitalisierung kann allen ­helfen: dem Waldbesitzer, dem Forstbetrieb, dem ­Holzverwender – und natür­lich auch dem Wald selbst

» Der Wald ist eine langfristige Anlage. Der Forstbewirtschafter ist daher Unternehmer, Vermögensberater und Verwalter in Einem. «

Michael Prinz von Baden
Michael Prinz von Baden

WISSEN BÜNDELN, PARTNER FINDEN

Allein kann die Industrie jedoch nicht der Heilsbringer sein. Vielmehr ist es ein Hand-in-Hand-Arbeiten, das die Digitalisierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette Realität werden lässt. STIHL für sich ist stark im Wissen um Produkt und Anwendung. ­Hinzu kommen immer mehr Daten und damit auch Knowhow zu den Rahmenbedingungen und anderen handelnden Akteuren. Daher besteht für Dr. Tim Gegg der Auftrag darin, den STIHL Fokus stetig zu erweitern: „Das Wesen der Digitalisierung ist der Blick auf die Gesamtprozesse und Partnerschaften. Besonders die Zusammen­arbeit mit privaten Waldbesitzern und Betriebsforstgemeinschaften kann sehr gewinn­bringend sein. Denn sie müssen wirtschaftlich denken und sind künftig verstärkt auf exakte Daten und digitale Lösungen angewiesen.“ Die Idealvorstellung ist ein digitaler Zwilling, also ein virtuelles Abbild des jeweiligen Forstes, der sich mit dem analogen Vorbild verändert. Nur so lässt sich die Anlage in die Aktie Wald ­möglichst genau beobachten.

Das gilt entlang aller Arbeitsschritte, also von der Verjüngungsplanung über die ­Förderung der Z-Bäume bis hin zu der Bewertung, dem Verkauf, der Ernte und der Weiter­verarbeitung. „Der Datenfluss muss bei der biologischen Produktion ­beginnen“, betont Dr. Tim Gegg. Durch die virtuelle Verknüpfung der einzelnen ­Prozessschritte steht unter anderem früh fest, welches Holz wann benötigt oder ­geschlagen wird. Daraus ergeben sich nach Meinung von Dr. Tim Gegg und Michael Prinz von Baden nur Vorteile, da so beispielsweise Hölzer aller Qualitäten bestmöglich verwertet werden können und nicht ungenutzt am Wegesrand liegen. Die weiter­verarbeitende Industrie profitiert, weil sie sich anders aufstellen und attraktivere Preismodelle entwickeln kann. So profitieren schließlich alle Beteiligten von der ­Digitalisierung.

11,4Mio.

Hektar Wald gibt es in Deutschland. Das entspricht ungefähr einem Drittel der Fläche des gesamten Landes.

Akteure im Forst gekonnt vernetzen


Prof. Dr. Martin Ziesak ist an der Berner Fachhochschule, der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL), in der Abteilung Wald­wissenschaften, Fachgruppe Forstliche Produktion, tätig. Der Dozent für forst­liches In­genieurwesen setzt sich ­besonders mit neuen Konzepten für eine nachhaltige – und digitalisierte – Forstwirtschaft auseinander.


Herr Prof. Dr. Ziesak, mit welchen Themen beschäftigen Sie sich aktuell?

Prof. Dr. Martin Ziesak Meine Themenfelder an der Hochschule umfassen die klassische Verfahrenstechnik, die Arbeitswissenschaft und die Walderschlie­ßung. All diese Themen sind logisch miteinander verknüpft und bauen aufeinander auf.

Wie schlagen Sie von diesen sehr klassischen Disziplinenden Bogen zur Digitalisierung der Forstwirtschaft?

Martin Ziesak In der Waldarbeit geht es um Tätigkeiten in der Fläche – anders als etwa bei einem ­Industrieunternehmen, bei dem wir genau wissen, an welcher Stelle welcher Prozessschritt passiert. Im Forst ist es die Herausforderung, konkrete Arbeitsschritte und Arbeitsobjekte so zu digitali­sieren, dass alle Beteiligten sauber planen und koordinieren können. Die entsprechende Sensorik für dieses Vorhaben ist zum Teil schon vorhanden, muss aber noch ergänzt werden. Ziel muss sein, dass die Akteure, die sich im Wald bewegen, automatisch Dinge erfassen. Am Ende soll das vernetzte Agieren von Daten, Datenströmen und Akteuren sichtbar gemacht werden. Mit bekannten „Industrie-4.0“-Konzepten können wir hier einen echten Mehrwert ge­nerieren. Und zwar in nahezu allen Bereichen der Forstwirtschaft.

Wie aufgeschlossen ist eine sehr tradierte Branche wie die Forstwirtschaft gegenüber solchen neuen Ansätzen und Prozessen?

Martin Ziesak Die Forstwirtschaft ist sehr konservativ und wir hinken, verglichen mit der Industrie oder auch „Wald und Holz 4.0“, ein ­bisschen hinterher. Ich würde diese Haltung aber als durchaus gesund bewerten. Es war eher ein Abwarten, ein Beobachten: Was funktioniert in der Praxis? Welche Neuerung bringt wirklich den erhofften Mehrwert? Auf der anderen Seite steht die Branche durch den Klimawandel und eine sehr angespannte wirtschaftliche Lage vor dramatischen Veränderungen. Deswegen ­bewegt sich ­aktuell sehr viel in Richtung neuer Technologien.

Welche Anwendungen sehen Sie dabei ganz vorne?

Martin Ziesak Die Digitalisierung in der Forstwirtschaft läuft bereits seit Jahrzehnten. Die Herausforderung ist jetzt, dass wir die entstandene ­Datenbasis nutzen und gewinnbringend in durchgängige Prozesse und neue Produkte umsetzen. Daher ist es für mich eher ein Paral­lellaufen von verschiedenen Dingen in unterschiedlichen Dimensionen. Ein Auftrag ist – und damit beschäftige ich mich zum Beispiel im Projekt Smart Forestry – eine saubere Architektur aufzustellen, in der bereits vollmechanisierte Schritte genauso ­dokumentiert und verwertet werden wie alle klassisch motormanuell ausgeführten Arbeiten. An dieser Stelle gibt es einen klaren Entwicklungsauftrag, dessen wir uns annehmen.

Stichwort Zukunftsaufgabe: An welchen Stellen besteht denn aus Ihrer Sicht der größte Handlungsbedarf?

Martin Ziesak Ich sehe es ein wenig mit Sorge, dass momentan viele Einzellösungen entwickelt werden, bei denen einzelne Mehr­werte generiert werden, aus denen sich aber kein ganzes Bild ­ergibt. Eine ganzheitliche Lösung sollte also bestenfalls herstel­ler­unabhängig funktionieren und die Vision von smarten Prozessen mit smarten Maschinen abbilden. Die Branche braucht umsetzungsrelevante Forschungsprojekte. Nur, wenn wir zielgerichtet Sorgen und Nöte der Akteure aus der Praxis aufnehmen, können wir sinnvolle Forschung betreiben.

Was macht für Sie ganz persönlich die Faszination aus, in diesem Feld zu forschen?

Martin Ziesak Die Forstwirtschaft ist bei aller Tradition eine sehr zukunftsfähige Branche, die einen großen gesellschaftlichen Dienst leistet. Ich persönlich möchte der Branche helfen und ihr den Weg in die Zukunft ermöglichen.