STIHL setzt auf einen internationalen Fertigungsverbund. Im Interview spricht der Vorstandsvorsitzende Dr. Bertram Kandziora über die Strategie dahinter, das besondere Geschäftsjahr 2020 und die Herausforderungen der kommenden Jahre.
STIHL setzt auf einen internationalen Fertigungsverbund. Im Interview spricht der Vorstandsvorsitzende Dr. Bertram Kandziora über die Strategie dahinter, das besondere Geschäftsjahr 2020 und die Herausforderungen der kommenden Jahre.
Wir treffen den STIHL Vorstandsvorsitzenden Dr. Bertram Kandziora in der neuen unternehmenseigenen Akku-Pack-Fertigung am deutschen Stammsitz in Waiblingen. 2020 war ein ungewöhnliches Geschäftsjahr mit vielen Besonderheiten. Und die kommenden Jahre stellen STIHL vor besondere strategische Herausforderungen.
Herr Kandziora, STIHL hat einen internationalen Fertigungsverbund. Wie kam es dazu und wie setzt sich dieser zusammen?
Dr. Bertram Kandziora Der Einstieg in einen internationalen Fertigungsverbund war eine der frühen grundsätzlichen Entscheidungen der Familie Stihl. Schon in den frühen 1930er-Jahren wurden STIHL Produkte im Ausland vertrieben und 1966 wurde mit der Vertriebsgesellschaft in Österreich die erste STIHL Auslandsgesellschaft gegründet. 1973 fiel dann der Startschuss für den internationalen Fertigungsverbund. Kurz hintereinander gründete STIHL zusätzlich zum Produktionsstandort Deutschland die STIHL Produktionsgesellschaften in Brasilien, der Schweiz und den USA. Heute sind wir mit eigenen Werken zudem in Österreich und Asien vertreten. Das neueste Mitglied in diesem Verbund ist unsere eigene Akku-Pack-Fertigung am Stammsitz in Waiblingen. Ein erster Schritt zu mehr Fertigungstiefe auf diesem zukunftsträchtigen Technologiegebiet am Standort Deutschland.
Welche strategischen Überlegungen führten zu dieser Entscheidung?
Dr. Bertram Kandziora Beim Aufbau von neuen Produktionsstandorten gibt es immer mehrere Aspekte: Die Produktion sollte möglichst nah am Markt und an den Kunden sein, denn dann ist man schnell und hat einen geringen CO₂-Ausstoß. Allerdings macht eine Vor-Ort-Präsenz in zu vielen der mehr als 160 Länder, in denen STIHL Produkte vertrieben werden, keinen Sinn. Denn es ist wichtig, in den Märkten die richtigen Preispunkte zu treffen. Dafür müssen die Kosten passen, und die können unter anderem mit der Bündelung von Mengen an Produktionsstandorten erreicht werden. Mit unserem internationalen Fertigungsverbund schaffen wir es, Marktnähe mit positiven Mengeneffekten zu kombinieren. Jeder Montagestandort liefert Produkte sowohl für den eigenen Kontinent als auch für die weltweite STIHL Vertriebsorganisation. Abgesehen davon bringt eigene Fertigungstiefe Know-how-Vorteile, Flexibilität und Unabhängigkeit von Dritten.
War die strategische Entscheidung für den internationalen Fertigungsverbund die wichtigste in der STIHL Geschichte?
Dr. Bertram Kandziora Nein, das war die Entscheidung von Andreas Stihl, die Säge zum Baum zu bringen und damit das Fundament für den Erfolg von STIHL zu legen. Die Entscheidungen der zweiten Generation, auf den servicegebenden Fachhandel zu setzen, die Unabhängigkeit von Banken zu forcieren und primär auf organisches Wachstum zu setzen, sind von vergleichbarer Tragweite wie die für den internationalen Fertigungsverbund. Auch die Entscheidung der jüngeren Zeit, massiv in das Geschäftsfeld Akku-Produkte zu investieren, ist von essenzieller Bedeutung für die Zukunft von STIHL.
2020 war kein Geschäftsjahr wie jedes andere. Die Coronavirus-Pandemie hatte die gesamte Welt fest im Griff und Lieferketten gerieten ins Wanken. War da die global vernetzte Fertigung nicht hinderlich?
Dr. Bertram Kandziora Ganz und gar nicht, denn so konnten wir schnell reagieren. Als großer Vorteil hat sich zum Beispiel erwiesen, dass wir uns 2013 entschieden haben, das bestehende ZAMA Werk in Shenzhen (China) durch ein Werk auf den Philippinen und eines in Huizhou (China) zu ersetzen. Während der Coronavirus-Pandemie konnte das philippinische Werk zuerst den Ausfall des chinesischen Werks abfedern. Als später die Philippinen betroffen waren, war das chinesische Werk wieder voll funktionsfähig. So konnten wir Produktionsausfälle in den Montagewerken aufgrund fehlender Vergaser vermeiden. Generell haben uns unser Fertigungsverbund und die hohe Flexibilität an allen Standorten vor nennenswerten Ausfällen bewahrt.
STIHL
Maschinenbau
Fahrzeugbau
Quelle: Statistisches Bundesamt (2019), STIHL
»Mit unserem Fertigungsverbund schaffen wir es, Marktnähe mit positiven Mengeneffekten zu kombinieren.«
Dr. Bertram KandzioraSeit Corona werden Stimmen laut, Produktion nach Deutschland zurückzuholen.
Dr. Bertram Kandziora Die deutsche Wirtschaft ist stark exportorientiert und STIHL vertreibt sogar 90 Prozent seiner Produkte im Ausland – eine drastische Ausweitung der Produktion in Deutschland passt nicht zu einer solchen Ausrichtung.
STIHL ist eines der wenigen Unternehmen, die bislang ohne Kurzarbeit durch die Coronavirus-Pandemie gekommen sind. Mit welcher Strategie ist STIHL den neuen Rahmenbedingungen begegnet?
Dr. Bertram Kandziora Das Wichtigste in dieser Zeit ist die Gesundheit der Beschäftigten. Es war an allen Betriebsstätten von Beginn an unser primäres Ziel, den Arbeitsplatz für alle Beschäftigten zu einem Ort mit einem sehr niedrigen Infektionsrisiko zu machen – niedriger als im öffentlichen Leben. Das ist uns gelungen. Unsere international tätigen Krisenteams haben in Zusammenarbeit mit den Behörden schnell umfangreiche Schutzmaßnahmen installiert. Die Prognosen für den Absatz waren im Frühjahr sehr düster und unsere Lieferketten extrem angespannt. In diesem Zusammenhang haben wir uns die Frage gestellt, ob wir die Produktion präventiv herunterfahren sollen. Letztendlich haben wir uns dafür entschieden, weiter in sehr hohem Umfang zu produzieren, um jederzeit die von Kunden gewünschten Produkte verfügbar zu haben. Unseren Handel haben wir in dieser besonderen Situation sogar selektiv mit verlängerten Zahlungszielen unterstützt. Aufgrund der über Jahrzehnte aufgebauten soliden Finanzstruktur von STIHL konnten wir das Risiko eingehen, gegebenenfalls zu hohe Bestände und Außenstände im Nachhinein zu korrigieren. Diese Strategie erwies sich als richtig, denn ab Mai zog das Geschäft enorm an. In Deutschland stand statt der vorbereiteten Kurzarbeit sogar Sonntagsarbeit an.
Allein damit lässt sich aber nicht erklären, dass STIHL gewachsen ist.
Dr. Bertram Kandziora STIHL Kunden, ob Profis oder Privatanwender, arbeiten meist an der frischen Luft und in ausreichend großem Abstand zueinander. Zudem wurde der Garten zu einem sicheren Ort gegen eine Infektion und diente vielen Menschen als Ersatzort für den Urlaub. Viele haben in seine Verschönerung Zeit und Geld investiert. STIHL Produkte waren dabei sehr hilfreich.
Vor welchen Herausforderungen steht STIHL in den nächsten Jahren?
Dr. Bertram Kandziora Unsere Branche befindet sich durch die rasant zunehmende Bedeutung von Akku-Produkten in einem massiven Umbruch. Dabei wird nicht nur die Antriebsart geändert. Auch Marktregeln und damit verbundene Strukturen ändern sich sehr stark. So haben wir es mit neuen Kundengruppen, Kundenbedürfnissen, Informations- und Vertriebskanälen sowie mit neuen und deutlich mehr Wettbewerbern zu tun. Aus ehemals wenigen maßgeblichen Wettbewerbern in der Benzin-Welt sind mehr als 50 Wettbewerber in der Akku-Welt geworden. Einige davon bringen Jahrzehnte an Erfahrung im Akku-Segment sowie Größen- und damit Kostenvorteile aus anderen Branchen wie dem Bau- und Heimwerkermarkt mit. Im neuen Wettbewerbsumfeld kommen die für die Zukunftssicherung so wichtigen Renditeniveaus unter Druck. Wir müssen uns schnell auf die neuen Kundenanforderungen einstellen und gleichzeitig unsere Prozesse und Strukturen effizienter machen. Unser Ziel ist es, relevanter Player im Akku-Markt zu werden und nachhaltig profitables Wachstum zu erzielen. Gleichzeitig wollen wir im Benzin-Segment das volle Potenzial im Markt ausschöpfen.
»Vorstand und Beirat haben strategische Handlungsfelder definiert, die mit hoher Priorität bearbeitet werden.«
Dr. Bertram KandzioraWie soll STIHL fit für diese Zukunft gemacht werden?
Dr. Bertram Kandziora Vorstand und Beirat haben strategische Handlungsfelder definiert, die mit hoher Priorität bearbeitet werden. So werden wir unserem Produktsortiment künftig eine noch klarere Positionierung aus Marken- und Kundensicht verleihen, die Komplexität unserer Modellreihen reduzieren und neue Produkte schneller auf den Markt bringen. Die weltweite Produktions- und Logistikstrategie wird weiterentwickelt. Mit „ONE STIHL“ wird die Einführung von SAP S/4 HANA dazu genutzt, einheitliche Systeme und harmonisierte Prozesse in der gesamten Unternehmensgruppe zu schaffen. Das bringt Schnelligkeit sowie Transparenz und reduziert Kosten. Die globale Verwaltungs-, Vertriebs- und Marketingorganisation wird noch stärker auf die echten Kundenbedürfnisse ausgerichtet. Um auch dem geänderten Kaufverhalten insbesondere von Akku-Kunden gerecht zu werden, haben wir die STIHL direct GmbH gegründet und damit begonnen, einen weltweit leistungsfähigen E-Commerce-Vertriebskanal aufzubauen, in den wir den stationären Handel mit einbeziehen.
Alle Handlungsfelder sind mit einem hohen Personaleinsatz in der gesamten STIHL Gruppe verbunden, sind aber essenziell für die Zukunftsfähigkeit unseres Unternehmens. STIHL Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zeichnen sich durch hervorragendes Wissen, hohes Engagement und exzellente Teamfähigkeit aus. Gemeinsam mit ihnen gehen wir die Zukunft von STIHL aktiv an.