Technik und Teamwork

Über 88.000 Menschen engagieren sich in Deutschland ehrenamtlich beim Technischen Hilfswerk (THW) im Zivil- und Katastrophenschutz, darunter mehr als 100 Helferinnen und Helfer aus dem Ortsverband Kirchheim unter Teck. Damit sie im Ernstfall routiniert helfen können, bereiten sie sich intensiv vor.

„Hallo, ist da jemand? Hier ist das THW. Haallooo?“ Die Rufe hallen über die Trümmer des eingestürzten Hauses. In Zweiertrupps streifen die Frauen und Männer in blauen Einsatzuniformen über das Gelände auf der Suche nach Verletzten. In einem versperrten Abwasserkanal werden sie fündig: Ein Mädchen ist darin eingesperrt. „Kannst du uns hören? Wie geht es dir?“, fragt ein Helfer.

Doch es kommt keine Antwort – die Suche gilt einer Puppe, es ist eine Übung. „Person gefunden“, knarzt es aus dem Funkgerät, das um Anna Mirls Hals hängt. „Person gefunden. Verstanden.“ Damit quittiert sie die Meldung und notiert die genaue Uhrzeit auf ihrem Einsatzbogen.

Die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk

  • wurde 1950 im Auftrag des Bundesinnenministeriums gegründet, um im Nachkriegsdeutschland Strukturen für den Zivil- und Katastrophenschutz zu schaffen.
  • beschäftigt etwa 2.200 hauptamtliche Mitarbeitende und hat rund 88.000 Ehrenamtliche, die in 668 Ortsverbänden aktiv sind.
  • ist Teil eines bundesweiten Hilfeleistungssystems, das sich sowohl in der örtlichen Gefahrenabwehr als auch bei der Bewältigung von Großschadenslagen bewährt hat.
Anna Mirl im Profil, in blauer THW-Uniform und gelbem Schutzhelm, ein Klemmbrett in der Hand.
Anna Mirl erklärt den Ablauf der Übung.

Anna Mirl leitet die Fachgruppe „Schwere Bergung“ im THW-Ortsverband Kirchheim unter Teck in Baden-Württemberg. Die Gruppe rückt an, wenn es gilt, Menschen, Tiere oder wertvolle Sachwerte aus schwer zugänglichen Situationen zu retten oder zu bergen, etwa wenn sie verschüttet oder eingeklemmt sind. Dafür sind sie mit leistungsstarken Geräten ausgestattet, darunter auch Maschinen von STIHL.

»Beim THW kommen Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft zusammen.«

Anna Mirl Leiterin der Fachgruppe „Schwere Bergung“
im THW-Ortsverband Kirchheim unter Teck

An diesem Samstag ist die 33-Jährige als Übungsleiterin mit den beiden Gruppen „Bergung“ und „Schwere Bergung“ des Ortsverbands auf einem Übungsplatz in Schlierbach, nur ein paar Kilometer von Kirchheim unter Teck entfernt. Dort trainiert die Gruppe unter möglichst realistischen Bedingungen die Abläufe bei einer Menschenrettung. Dazu eignet sich das Gelände hervorragend – wurde doch eine zerstörte urbane Landschaft sorgfältig nachgebildet: Betonröhren sind unter Schuttbergen ehemaliger Häuser begraben, gesplitterte Holzbalken und Metallgitter ragen aus Mauerresten hervor, Autowracks sind auf dem Gelände verteilt.

An der Einsatzstelle ergibt eine kurze Absprache, dass der Zugang zu dem verschütteten Mädchen mit einem Benzin-Trennschleifer geschaffen werden soll. Der Umgang mit großen Motorgeräten steht bei den heutigen Übungsszenarien im Vordergrund, erklärt Mirl.

Helfer Florian Frietsch wird für die Arbeit mit dem Trennschleifer durch seine Führungskraft eingeteilt.

Bevor es losgehen kann, laden die Helferinnen und Helfer des Rettungstrupps das dafür notwendige Material vom Gerätekraftwagen ab. Hinter den Rolltüren dieses LKWs ist die Ausrüstung perfekt organisiert: Motorsägen sind in Auszugfächern verstaut, ebenso wie Pumpen und die Erste-Hilfe-Ausstattung. Alle für die Übung benötigten Geräte werden übersichtlich auf einer blauen Kunststoffplane angeordnet, sodass sie auch bei längeren Einsätzen schnell wieder verfügbar sind. Florian Frietsch nimmt sich die notwendige Schutzausrüstung, bindet sich die Lederschütze um und schlüpft in die Lederhandschuhe. Erst dann startet er den Trennschleifer.

Blick in den Gerätekraftwagen. Die Ausrüstung ist präzise organisiert.
Im Gerätekraftwagen (GKW) der Fachgruppe „Bergung“ ist die Ausstattung sofort griffbereit.
Zwei Männer in THW-Uniform bereiten einen Trennschleifer für die anstehende Übungssituation vor.
Die Übungen dienen auch dazu, den Umgang mit den einzelnen Gerätschaften zu lernen und zu trainieren. Denn im Ernstfall muss jeder Handgriff sofort sitzen.
Drei Männer in THW-Uniform stehen um ein Metallgitter und besprechen, wie es optimal durchzuschneiden ist.
Florian Frietsch plant sorgfältig den Schnitt, bevor er den Trennschleifer ansetzt.

Gerade wenn es eilt, hat Eigenschutz immer Priorität, klärt Anna Mirl auf. Gut vorbereitet geht Florian Frietsch nun das Stahlgitter an, das den Zugang versperrt.

Den Umgang mit der dreizehn Kilo schweren Maschine erlernen THW-Interessierte in der Grundausbildung, die das sichere Beherrschen von Geräten und Arbeitsweisen vermittelt. Nach etwa 100 absolvierten Unterrichtseinheiten beweisen sie ihr Können in einer Prüfung. Erst dann darf Anna Mirl sie zu Einsätzen mitnehmen.

Beruf und Ehrenamt

„Menschen zu helfen, ist mir wichtig, im Beruf und in der Freizeit“, erklärt Frietsch seine Motivation. Dass sein beruflicher Alltag als Pflegehelfer wenig Bezug zu Technik hat, stört niemanden. Im Gegenteil. Beim THW sind alle willkommen, ihre individuellen Erfahrungen einzubringen. Je vielfältiger, desto besser. „Florian ist ein Ass darin, Menschen in Notsituationen zu beruhigen“, erzählt Anna Mirl. Auch in Übungen soll alles so realistisch wie möglich sein. Neben einer technisch einwandfreien Rettung erwartet die Übungsleiterin deshalb, dass die Helferinnen und Helfer sich intensiv um die Verletzten kümmern. So wird auch mit der Puppe gesprochen und ihr erklärt, was passiert. Als sie auf einer Trage durch das Loch im Gitter ins Freie geschoben wird, trägt sie auf dem Stoffkopf noch immer den Gehörschutz, den sie gegen die Geräusche des Trennschleifers erhalten hat.

»Menschen zu helfen, ist mir wichtig.«

Florian Frietsch Mitglied im THW-Ortsverband Kirchheim unter Teck

Nachdem die Puppe befreit und ihre erfolgreiche Rettung an Anna Mirl gemeldet worden ist, besprechen alle das Erlebte in einer Feedbackrunde. Wie ist die Übung gelaufen? Wie war die Kommunikation? Was kann beim nächsten Mal noch besser gemacht werden?

„Noch besser werden“ ist auch Mirls Anspruch sowohl für die gesamte Fachgruppe „Schwere Bergung“ als auch für ihre berufliche Tätigkeit. Unter der Woche koordiniert die Verfahrenstechnikingenieurin die Systementwicklung einer Motorsäge bei STIHL. Beruf und Ehrenamt ergänzen sich wechselseitig bestens, findet sie: „Meine Organisations- und Präsentationsfähigkeiten aus dem Berufsalltag kann ich beim THW sehr gut einsetzen. Dort wiederum lerne ich Softskills so praxisnah wie in keinem beruflichen Konfliktlösungsseminar, denn hier arbeiten Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft in herausfordernden Einsatzlagen zusammen.“ Mirl sorgt dafür, dass alle gefördert, aber auch gefordert werden und sich stetig gemeinsam weiterentwickeln. Dafür hat sie die auf dem Übungsplatz trainierten Szenarien selbst entworfen: „Die Ideen kommen aus meiner eigenen Ausbildung und ich bringe auch meine Erfahrungen aus echten Einsätzen mit ein.“

100

Unterrichtseinheiten Grundausbildung absolvieren Interessierte zur Vorbereitung auf den Ernstfall.

Die Teams der Fachgruppen „Bergung“ und „Schwere Bergung“.
Anna Mirl steht lachend auf dem Übungsplatz.
Bei ihr laufen am Übungstag alle Fäden zusammen: Fachgruppenleiterin Anna Mirl.

Im Ernstfall

Einer dieser Einsätze war die Flutkatastrophe im Ahrtal 2021. Dort half die damals 29-Jährige eine Woche lang, einen so genannten Meldekopf im Bereitstellungsraum einzurichten und zu betreiben. Dieser diente als erste Anlaufstelle für Hilfskräfte, die aus ganz Deutschland im Katastrophengebiet ankamen. Eine Aufgabe, die außerhalb des Spezialgebiets der „Schweren Bergung“ liegt, die sie jedoch mit dem Teamgeist im THW, der guten Ausbildung sowie ihrem breiten Erfahrungsschatz angehen konnte: „Egal was angefordert wird, wir kriegen das hin.“

»Egal was angefordert wird,
wir kriegen das hin.«

Anna Mirl Leiterin der Fachgruppe „Schwere Bergung“
im THW-Ortsverband Kirchheim unter Teck

Dieser Einsatz mit Helferinnen und Helfern aus dem gesamten Bundesgebiet zeigt die besondere Stellung des Technischen Hilfswerks im Bevölkerungsschutz. Dank der einheitlichen Ausstattung und Ausbildung können die Teams nicht nur lokale, sondern auch überregionale humanitäre Soforthilfe nach Naturkatastrophen leisten und reibungslos miteinander zusammenarbeiten.

Auch weltweit stellt das THW sein technisches Fachwissen und Spezialgeräte im Auftrag der Bundesregierung zur Verfügung, wenn diese aus den betroffenen Ländern angefordert werden. In den vergangenen sechzig Jahren war das THW international in mehr als 130 Ländern im Einsatz.

Bergung im Einsatz
Die Essentials

Ohne das Verständnis des Arbeitgebers ist so ein ehrenamtliches Engagement nicht möglich. Da sich Katastrophen nicht planen lassen, können die Helfenden jederzeit kurzfristig in den Einsatz gerufen werden. Vor planbaren Einsätzen wie zum Beispiel Hilfsgütertransporten gibt es meist mehr Vorlauf. Das THW-Gesetz verpflichtet Arbeitgeber, Ehrenamtliche für diese Aufgabe freizustellen, und entschädigt die Unternehmen dafür. Ihre Arbeit bleibt währenddessen liegen, beschreibt Mirl und lobt das Verständnis, das ihr berufliches Umfeld für ihr Engagement aufbringt.

Die Firma STIHL unterstützt darüber hinaus die Organisationen des Bevölkerungsschutzes in Form von Geld- oder Sachspenden. So auch im Fall der Flutkatastrophe im Ahrtal, des Starkregenereignisses in der Region Stuttgart im Juni 2024 oder der Überschwemmungen in Brasilien, bei denen auch STIHL Mitarbeitende von den Folgen betroffen waren.

829000

Einsatzstunden hat das
THW im Jahr 2023 geleistet.

Gemeinsam gegen die Flut
Stihl Brasilien

Anhaltender Starkregen überschwemmte im Mai 2024 die Stadt São Leopoldo im Süden Brasiliens und führte zur schlimmsten Naturkatastrophe in der Geschichte des Bundesstaates Rio Grande do Sul. Schätzungsweise 100.000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen, darunter 400 STIHL Beschäftigte. Zahlreiche Mitarbeitende, die selbst nicht betroffen waren, packten bei den Aufräumarbeiten mit an. Das Unternehmen unterstützte Mitarbeitende vor allem finanziell, Hilfsorganisationen bekamen ebenfalls Geld sowie auch zahlreiche Gerätespenden, darunter Hochdruckreiniger, Generatoren und weitere Geräte. Zwei Mitarbeitende von STIHL Ferramentas Motorizadas Ltda. erzählen von ihrem Einsatz.

Porträt von Narayanny Teodoro Xavier dos Santos.
Narayanny Teodoro Xavier dos Santos Produktionsassistentin Zylinder

Hatten Sie vor diesem Einsatz schon einmal ehrenamtlich geholfen?

Narayanny Teodoro Xavier dos Santos: Nein, das war mein erstes Mal, wie auch bei vielen anderen Kolleginnen und Kollegen. Da ich unbeschadet davongekommen bin, wollte ich unbedingt denen helfen, die alles verloren haben. Unser Arbeitssicherheitsteam hat uns am ersten Tag so gut wie möglich vorbereitet – nicht nur in praktischer Hinsicht, sondern auch darauf, wie wir mit den Betroffenen umgehen, die sich in einer emotionalen Ausnahmesituation befanden.

Wobei haben die Gerätespenden von STIHL besonders geholfen?

Alexsandro Steffens: In vielen Gebieten gab es keinen Strom, deshalb waren vor allem die Generatoren unverzichtbar. Ohne sie hätten wir nicht mit den Aufräumarbeiten beginnen können. Als das Hochwasser zurückging, hinterließ es eine dicke Schlammschicht, die in der schwülen Hitze schnell anfing zu stinken. Dank der Hochdruckreiniger konnten wir den Schlamm schnell aus den Wohnungen spülen; viel schneller, als es ohne Maschine möglich gewesen wäre. So konnten wir in kurzer Zeit viel mehr Menschen darin unterstützen, möglichst schnell in ihre Häuser zurückzukehren.

800000

Euro stellte STIHL
als Soforthilfe bereit.

100

Menschen kamen in der Notunter­kunft in einem Firmengebäude unter.

400

Mitarbeitende verloren
ihr Zuhause.

Was hat Sie während Ihres Einsatzes besonders berührt?

Narayanny Teodoro Xavier dos Santos: Wir halfen einer Kollegin, die kleine Kinder hat. Als Mutter verstehe ich, wie wichtig Erinnerungsstücke sind – Fotos, die ersten Strampler, das Taufkleid. Natürlich wollte die Kollegin möglichst viele Dinge aus dem Schlamm holen. Den ersten Ohrring des Babys haben wir leider nicht wiedergefunden, dafür aber einige andere emotional wichtige Dinge. Das hat mich sehr für sie gefreut.

Wie geht es den Menschen heute nach der Flut?

Alexsandro Steffens: Nach außen hin kehrt langsam die Normalität in die überschwemmten Viertel zurück. Es liegt kein Müll mehr auf den Straßen und die Zeichen der Zerstörung verschwinden allmählich. Viele Kolleginnen und Kollegen sind aber immer noch dabei, alles wieder aufzubauen, was sie verloren haben. Sie haben Schlimmes erlebt und es braucht Zeit, bis sie das verarbeitet haben.

Alexsandro Steffens steht in einer Produktionshalle.
Alexsandro Steffens
Kälteanlagenbauer